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13.09.2022

Klaus Jürgen Mann ist seit zehn Jahren in der Tagesstätte Stade angestellt

„Jürgen Sorgenfrei“ – seine ganz persönliche Erfolgsgeschichte mit einer seelischen Beeinträchtigung


Eigenverantwortlich kümmert sich Klaus Jürgen Mann um die Spenden, die in der Höker-straße abgegeben oder auch von ihm persönlich abgeholt werden. Entweder werden Sie für die Tagesstätte selbst von den Besucherinnen und Be-suchern verwendet oder sie werden im Rahmen eines alljährlichen Flohmarktes verkauft.

STADE. Klaus Jürgen Mann ist 59 Jahre alt, seit zehn Jahren in der Stader Tagesstätte für Menschen mit seelischer Beeinträchtigung als Mitarbeiter tätig und hat sich gerade für die Fortbildung „Genesungs-begleiter“ angemeldet. Soweit nichts Außergewöhn-liches, erfährt man aber mehr von der persönlichen Lebensgeschichte des 59-Jährigen, ist der Weg bis zum heutigen Tag wirklich mehr als beeindruckend und zeigt, welche Höhen und Tiefen es im Leben eines Menschen mit einer seelischen Beeinträchti-gung geben kann. Stand heute beschreibt er seine jetzige Lebenssituation mit den durchweg positiven Worten „Jürgen Sorgenfrei“!

Als er vor über 40 Jahren beim Grenzschutz eine Ausbildung als Polizeivollzugsbeamter des Bundes begann, wusste er nicht wirklich, was eine psych-ische Erkrankung ist. Er war in Auslandseinsätzen, viel unterwegs und stand nach seiner eigenen Aussage, wie es so schön heißt, „Mitten im Leben“. So richtig hat er gar nicht bemerkt, wann es anfing: „Es war ein schleichender Prozess, aber mit 25 Jahren erlebte ich die erste Episode meiner bis heute andauernden seelischen Beeinträchtigung“, so Klaus Jürgen Mann. Er erkrankte in Irland und kam nach seinem Zusammenbruch nach Deutschland zurück. Nach einem vierwöchigen Klinikaufenthalt in Lüneburg und weiteren fünf Monaten „Krank sein“ fing er wieder beim Grenzschutz in Lüneburg an: „Aber da habe ich irgendwie nur funktioniert und mich gar nicht mit den Gründen oder den Auslösern meiner Erkrankung beschäftigt.“ Als es dann wenige Monate später darum ging, ob er zum Beamten auf Lebenszeit wird, fiel er dort aufgrund dieser seelischen Erkrankung durch. „Da brach für mich natürlich eine Welt zusammen. Das war eine zusätzliche außergewöhnliche Belastung, die dazu führte, dass ich langzeitkrank wurde und etwa fünf Jahre gar nicht in der Lage war zu arbeiten oder meine Erkrankung in den Griff zu bekommen“, spricht Klaus Jürgen Mann von einer sehr schweren Zeit in seinem Leben.

Mit Anfang 30 startete er dann aber ganz neu durch: „Mir ging es scheinbar gut, ich wollte noch etwas mit meinem Leben anfangen und begann im Rahmen einer Umschulung in Hamburg eine Ausbildung zum Speditionskaufmann.“ Diese schloss er als Jahrgangsbester ab und konnte bei seinem Ausbildungsbetrieb, bei der Reederei Cosco, bleiben. Nach der Probezeit bot man ihm eine unbefristete Arbeitsstelle an, die er aber ablehnte. Er merkte einfach, dass er aufgrund seiner immer noch unterschätzten und unterdrückten Erkrankung nicht in einem Großraumbüro mit vielen Kolleginnen und Kollegen die Hektik des Arbeitsalltags bewältigen konnte.

Nach einer kurzen Zeit der Suche machte er sich selbstständig und verkaufte Teppichreinigungsgeräte. „Ich dachte, hier kann ich selbst den Rhythmus vorgeben und schauen, wie es passt zu arbeiten. Aber das war natürlich ein totaler Reinfall und am Ende ein richtiger Flop“, kann sich der 59-Jährige bei diesem Rückblick ein Schmunzeln nicht verkneifen. Aber Aufgeben kam für ihn nicht infrage und deshalb machte er sich dann als Lederwarenverkäufer selbständig und war mehr als zehn Jahre mit seinem Marktstand auf den Hamburger Wochenmärkten unterwegs. „Am Anfang passte es durchaus. Ich hatte Spaß am Verkauf und kam mit vielen Menschen in Kontakt. Aber ich lebte irgendwann über meine Verhältnisse, nicht nur finanziell, sondern auch was meine Erkrankung betrifft“, blickt er durchaus selbstkritisch zurück. Ein weiterer schwerer Schub führte dann dazu, dass er nicht mehr regelmäßig arbeiten konnte. Und privat kam dann noch die Trennung und Scheidung von seiner damaligen Frau hinzu.

So kam er im Jahr 2007 wieder für vier Wochen in eine Klinik, dieses Mal nach Stade und anschließend gleich in die Tagesklinik. „An einen normalen Tagesablauf mit Arbeit usw. war zu dieser Zeit gar nicht zu denken. So bekam ich dann den Rat, mir mal die Tagesstätte in der Hökerstraße anzuschauen, um langsam wieder eine Struktur in meinem Alltag zu erleben. Auch wenn ich mir darunter nicht so richtig etwas vorstellen konnte, habe ich sie mir dann doch angeschaut. Und dies war wirklich die beste Entscheidung, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe“, so Klaus Jürgen Mann rückblickend.  

Am Anfang sah es aber gar nicht nach seiner persönlichen Erfolgsgeschichte aus. Er war nach eigener Aussage die erste Zeit, fast zwei Jahre lang, sehr ruhig, passiv, aus seiner heutigen Sicht schon fast teilnahmelos. Damals war das Sofa sein bester Freund. Heute weiß er, dass es einfach seine Zeit brauchte, seine Erkrankung „anzunehmen“, sich damit auseinanderzusetzen, um erste kleine Schritte machen zu können. Und dann kam ein Mitarbeiter immer mehr auf ihn zu, ließ nicht locker und beeindruckte Klaus Jürgen Mann: „Wir hatten irgendwie die gleiche Wellenlänge, er hat mich erreicht, mir gezeigt, wie wichtig gemeinsame Aktivitäten oder auch Aufgaben sind, die man den Tag über erledigt.“ So wurde die Tagesstätte immer wichtiger für ihn, er bekam immer mehr Aufgaben übertragen, hatte Spaß am täglichen Besuch, freute sich auf die Begegnungen mit den Menschen dort und entdeckte wieder einen wirklichen Sinn für sein Leben.      

Jürgen Dubau als heutiger Leiter der Stader Tagesstätte des Unternehmensbereiches Bethel im Norden in der Hökerstraße schätzt an seinem Kollegen neben seiner Verlässlichkeit besonders diese Lebenserfahrung, die Klaus Jürgen Mann über die Jahre gesammelt hat: „Er hat ein ganz besonders Gespür dafür, was unsere Besucherinnen und Besucher unserer Tagesstätte gerade brauchen. Ist es ein wenig Aufmunterung, vielleicht auch der notwendige Schubs oder auch das Gefühl, den Menschen auch mal zur Ruhe kommen zu lassen und sie dann wieder, wenn es passt, anzusprechen?“ Von daher war Klaus Jürgen Mann auch mehr als froh, als die vorherige Einrichtungsleiterin Heidemarie Poppe ihn fragte, ob er nach fünf Jahren als Besucher seine Rolle tauschen und Mitarbeiter in der Tagesstätte werden wollte.

Er überlegte nicht lange, unterschrieb im Jahr 2012 seinen ersten Arbeitsvertrag im Unternehmensbereich Bethel im Norden, freute er sich doch richtig über seine neue Aufgabe, die ihn bis heute ausfüllt und ihm nach wie vor sehr viel Spaß macht. Er ist beispielsweise im Fahrdienst tätig, arbeitet im Hauswirtschafts- und im Freizeitbereich, kümmert sich um die Annahme von Spenden und unterstützt die Kolleginnen und Kollegen der anderen Einrichtungen im Landkreis Stade. „Für uns ist er absolut ein gleichwertiger Kollege, der vom gesamten Team sehr geschätzt wird“, so Jürgen Dubau anerkennend. 

Wie eng Klaus Jürgen Manns Verbindung zur Tagesstätte ist, zeigt die Tatsache, dass er gerade ganz vergessen hatte, dass er eigentlich im Urlaub ist: „Aber das zeigt doch, wie wichtig mir die Aufgaben und auch die Menschen vor Ort sind. Diese Struktur brauche ich einfach für mich.“ Allerdings sind dem 59-Jährigen seine Hobbys ebenso wichtig. Er schwimmt gerne und geht nach wie vor auf Wochenmärkte, um nebenberuflich seine Gürtel oder auch Hosenträger, die er selbst im Keller seiner Eigentumswohnung herstellt, an seinem Stand anzubieten. Wer Lust hat, kann gerne auf seinem Shop im Internet vorbeischauen: Ledergürtel - Gürtelmanufaktur Mann (guertelmanufaktur-mann.de).

Und auch in seinem Freundes- und Bekanntenkreis fühlt er sich gut aufgehoben. Ihm ist der Mensch wichtig und auch der gemeinsame Austausch untereinander. Dass die meisten von ihnen auch eine seelische Beeinträchtigung haben, hat er ganz bewusst so entschieden: „Was ich bis heute nicht mag, sind die Sprüche wie «Nun reiß dich mal zusammen» oder «So schlimm kann es doch gar nicht sein». Ich habe einfach keine Lust darauf, mich immer wieder zu erklären und Fragen zu beantworten, die mir zeigen, wie wenig die Menschen doch von einer seelischen Erkrankung oder Beeinträchtigung wissen.“

Seine Lebensgeschichte ist Klaus Jürgen Mann aber trotzdem wichtig. Er geht offen mit ihr um und spürt heute eine Zufriedenheit, wenn er auf sein Leben mit dieser Erkrankung zurückblickt: „Ich kann wirklich sagen, dass ich in den vergangenen 15 Jahren die glücklichste Zeit meines Lebens hatte.“ Und trotz seines Alters, wo er durch seine Schwerbehinderung auch schon mal an seine Rente denken könnte, will er im nächsten Jahr noch eine Fortbildung besuchen und noch viele Jahre in der Tagesstätte arbeiten. Weil er dieses Umfeld für seine Zufriedenheit einfach braucht.

Bei dem oben bereits erwähnten „Genesungsbegleiter“ bilden sich selbst betroffene Menschen fort, um anderen seelisch beeinträchtigten Menschen eine fachliche Unterstützung anbieten zu können. „Angemeldet habe ich mich schon, und ich bekomme in Kürze Nachricht, ob es im Jahr 2023 klappt“, freut sich Klaus Jürgen Mann über die neue Herausforderung. Und er kann sicher sein, dass er vom Team der Tagesstätte den Rückhalt bekommt, den er für ein zufriedenes Leben im privaten und auch beruflichen Bereich bekommt. „Eben wie eine große Familie“, sagt Klaus Jürgen Mann am Ende mit voller Überzeugung! 


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